Noch nie wurden in Deutschland so viele Geldautomaten gesprengt wie 2016. Gegenüber dem Vorjahr hat sich die Anzahl auf über 300 Überfälle (Prognose) verdoppelt. Für 2017 ist ein weiterer Anstieg zu erwarten, da deutsche Banken kein abgestimmtes Sicherheitskonzept umsetzen.
Anscheinend wissen Kriminelle, dass sie bei deutschen Banken ein leichtes Spiel haben, denn aus Kostengründen wird hierzulande häufig auf ausreichenden Schutz verzichtet. Deutschland ist aber auch wegen seiner relativ hohen Automatendichte (Bundesweit rund 58.000) und wegen der vergleichsweise hohen Befüllsumme in den Geldkassetten für Kriminelle attraktiv.
Die Täter schlagen regelmäßig in den frühen Morgenstunden zwischen 2 und 5 Uhr zu. Der Tathergang dauert oft weniger als 5 Minuten. In kurzer Zeit leiten sie mithilfe eines Schlauchs ein explosives Gasgemisch durch Geräteöffnungen (sog. Shutter) oder sogar durch Bohrlöcher in den Geldautomaten ein. Dabei fließen auch große Mengen des Gases in den umgebenden Raum. Eine Lunte bringt das Gas dann innerhalb und außerhalb des Automaten zur Exposition. Da die Sprengkraft von den Tätern nur grob eingeschätzt werden kann, nehmen sie die Zerstörung des Gebäudes, auch durch ausgelöste Brände, sowie Personenschäden billigend in Kauf. Bisher gab es Tote nur unter den Tätern. Diese kamen bei ihrer risikoreichen Sprengung oder auf der Flucht ums Leben. In den Niederlanden mussten kürzlich jedoch schon Mieter evakuiert werden, als ein ganzes Haus abbrannte.
Die Taten werden mehreren professionellen osteuropäischen Banden, inzwischen aber teilweise auch Nordafrikanern zugeordnet. Aus Sicht des BKA handelt es sich um eine schwere Form der Bandenkriminalität. Oft operieren diese aus den Niederlanden heraus und umfassen einen Tätereis von nicht weniger als 200 Personen.
Von Banken-Seite hält man es für zwingend erforderlich, dass der Polizei Fahndungserfolge gelängen und dass die Strafverfolgungsbehörden international zusammenarbeiten, um die Täter stärker unter Druck zu setzen. Die verstärkte Polizeifahndung scheint die Täter jedoch nicht zu stören und deshalb wird inzwischen aus Polizeikreisen der schlechte Schutz von Geldautomaten kritisiert, der den Anreiz zur Tat stark erhöht. Sie sehen die Banken in der Verantwortung ihr Eigentum selbst zu sichern. Dies ist auch durchaus zumutbar, denn auch Juweliere schützen ihre Werte über Nacht eigenverantwortlich.
Sicherheitskonzepte anpassen, um den Tatanreiz zu nehmen
Ein einheitliches Sicherheitskonzept gibt es bisher in Deutschland jedoch nicht. Im Rahmen der Zusammenarbeit von Versicherungswirtschaft und Polizei wurden im Jahr 2012 Richtlinien zur Sicherung von Geldautomaten, Betrachtung und Analyse der Risiken (VdS 5052) erarbeitet. Diese treffen jedoch nur Empfehlungen. Bisher entscheidet also noch jedes Geldinstitut selbst, ob und wie es seine Automaten schützt. Es scheint, als müsste erst der deutsche Gesetzgeber tätig werden. Als Antwort auf eine Kleine Anfrage einer Bundestagsfraktion erklärt auch die Bundesregierung, dass durch die Sprengung von Geldautomaten erhebliche Gefahren für Passanten, Kunden und mögliche Bewohner der betroffenen Objekte entstehen würden, welche den Tätern billigend in Kauf genommen würden (Drucksache 18/7313).
Im Kern geht es darum, den Kriminellen schon im Vorfeld den Anreiz zur Sprengung von Geldautomaten zu nehmen. Da der Tatanreiz das Bargeld ist liegt dieser darin, das Geld bei jedem Angriff unbrauchbar werden zu lassen. Deutsche Ermittlungsbehörden sprechen sich vielfach für den Einsatz von Farbpatronen in den Geldkassetten aus. In Schweden, Belgien und Frankreich existieren deshalb gesetzliche Regelungen die dazu führen, dass Geldautomaten mit Einfärbetechnik ausgestattet werden, während in den Niederlanden ähnliche Regelungen diskutiert werden. Bisher regeln in den Niederlanden die Versicherer, welche Automaten mit Farbpatronen abgesichert werden müssen.
Ins Visier der Kriminellen gerät immer das schwächste Glied einer Kette. Erforderlich ist deshalb eine Gesamtsicht der Lage. Angesichts der guten Ausstattung von Kriminellen, reicht die stärkere Panzerung von Geldautomaten nicht alleine aus. Das Beispiel Schweden zeigte, dass ein zusätzliches Absichern durch Stahl und Beton lediglich mehr Gegengewalt erzeugt. Deshalb ist es wichtig, mit einer intelligenten Kombination von Techniken die Rüstungsspirale der Straftäter zu durchbrechen. Bei den Sprengungen von Geldautomaten warnt das Nordrhein-Westfälische Landeskriminalamt bereits vor einem gefährlichen Trend. In den Niederlande sind die Täter inzwischen nicht mehr mit Gas, sondern mit richtigem Sprengstoff (Dynamit, Semtex, C4) unterwegs. In Brasilien, wo man aufgrund vieler Minen leicht an Sprengstoff gelangt, ist dies schon immer üblich. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis Sprengstoff auch in Deutschland zum Einsatz kommt.
Einige Geldinstitute sind dazu über gegangen, Ihre Risikogeschäftsstellen nachts zu schließen. Dies würde sich auch deshalb nicht auf den Kundenservice auswirken, weil in der Zeit zwischen Mitternacht und 5 Uhr morgens weniger als fünf Prozent der Abhebungen erfolgen. Oft wurden die Selbstbedienungszonen jedoch aus organisatorischen Gründen außerhalb der kompletten Öffnungszeiten der Bank inklusive Wochenende geschlossen. Diese Maßnahme haben einige Institute nach Kundenprotesten schon wieder rückgängig machen müssen.
Inzwischen steigt der Druck auf die Geldinstitute auch durch ihre Versicherungen. Zu den versicherten Schäden zählen zerstörte Automaten, das gestohlene Bargeld, aber auch die oft beträchtlichen Schäden an den Gebäuden. Diese Sachschaden übersteigt sehr oft den Betrag des gestohlenen Bargeldes bei weitem.
Deshalb fordern auch Versicherer inzwischen aktive Gegenmaßnahmen ein, damit der Tatanreiz auf das Bargeld unterbunden und somit eine Sprengung von Geldautomaten erfolglos wird, sonst sei die Versicherbarkeit von Geldautomaten gefährdet. Banken argumentieren dagegen, dass sie am Ende selbst zahlen müssten, weil die Versicherungsprämie nach einem Schadensfall ansteigt. Dies wird bisher jedoch von Seiten der Versicherer dementiert. Angeblich gewähren Versicherer den Banken zurzeit sogar Rabatte, wenn sie ihre Geldautomaten mit geeigneter Technik schützen.
Sicherheitskonzepte richtig umsetzen
Die Banken prüfen zurzeit das Risiko für jeden Automaten, welcher Standort zuerst eine Nachrüstung erfordert, welcher z.B. aufgrund seiner Bauweise und der Lage besonders gefährdet ist. Dies ist ein erster Schritt. Folgen muss ein Konzept aus organisatorischen, baulichen und technischen Schutzmaßnahmen, angepasst auf die standortbezogene Risiko- und Gefährdungssituation. Vorzuziehen sind Maßnahmen, die den Tatanreiz auf das Bargeld deutlich verringern.
Dies leistet heutzutage nur die Einfärbetechnik; sie wirkt gegen Angriffe von außen und internen Diebstahl, insbesondere gegen:
- Angriffe auf den Geldautomaten mittels Bohren, Aufschweißen oder Aufbrechen
- Bewegen des Automaten mittels Lagesensor
- Sprengungen des Automaten
- nicht autorisierten Zugriff auf Tresor und Geldkassetten
[mehr Informationen unter: „Einfärbesysteme mit Potenzial für Geldautomaten und im Werttransport“, Jens Eberhardt, News aus Feb. 2016]
Wichtig ist, dass die Einfärbetechnik (BNS - Intelligent Banknote Neutralisation System) richtig in die Automaten- und Sicherheitstechnik integriert wird. Ein zusätzlich eingebauter Gassensor kann zum Beispiel schon bei der Einleitung des Gases und somit vor der Sprengung die Einfärbung des Geldes auslösen, wenn er mit der IBNS Steuerung verbunden ist. Auf dem Automaten-Bildschirm wird die Einfärbung des Geldes angezeigt, um den Täter vom weiteren Vorgehen abzubringen.
Fakt bleibt jedoch, dass die hoch professionellen Banden genau verfolgen, wie gut sich welche Bank schützt, da sie aus ihrem Erfahrungsschatz entsprechend gesicherte Automaten bereits erkennen können.
Quellen:
Bundeskriminalamt/ BKA, Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen, VdS-Guidelines for Security, gi-Geldinstitute, Frankfurt Allgemeine Zeitung, express.de, Wirtschaftswoche, genossenschaftsverband.de, etc.